Sabine Marcelis und die Farben

Bunte Spiegel, pinke Neonleuchten, pastellfarbige Blöcke aus Kunstharz und gläserne Donuts. Sabine Marcelis Studio in Rotterdam widerspiegelt perfekt ihren Sinn für Farbe und Raum, den sie in jedes ihrer Projekte einfliessen lässt. Sie ist eine der angesehensten Designerinnen unserer Zeit – und lässt sich immer noch am liebsten von Wolken und Sonnenuntergängen inspirieren.

Als wir uns 2014 zum ersten Mal trafen, hatte ich das Gefühl, dass Sie die Welt im Sturm erobern würden. War das Ihr Plan?

Ich wollte von Anfang an Design-Sammlerstücke kreieren. Das eröffnete mir den Freiraum zum Experimentieren. Aber in den ersten Jahren war ich eine One-Woman-Show. Als es immer mehr wurde, stellte ich eine Person für ein Praktikum und bald darauf eine weitere Person für das Studio-Management ein. Dadurch erhielt ich die Möglichkeit, meine Designvision zu erweitern. Ausserdem stelle ich rasch fest, dass meine Stärke in der Zusammenarbeit mit Unternehmen lag, die in Bezug auf Materialien und Herstellungsverfahren bereits über grosses Fachwissen verfügen. Wie zum Beispiel S.T.R.S., das alle meine Harzobjekte produziert.

Hatten Sie zu diesem Zeitpunkt bereits ein Studio? 

Ja. Mein erstes Studio war sehr gross und lag in einer schönen Gegend in der Nähe des Hafens von Rotterdam. Es war allerdings schon ziemlich heruntergekommen. Die Stuck-Engel an der Decke musste ich mit Holzleisten festnageln, weil sie uns sonst auf den Kopf gefallen wären. In diesen Anfangsjahren arbeitete ich im Auftrag von Kunst- und Modeschaffenden. Meine Aufgabe war, herauszufinden, wie man ihre Ideen umsetzen konnte. Ich liebte es, mich ganz in sie hineinzuversetzen, um zu verstehen, was sie brauchten. 

Gibt es Parallelen zwischen Ihrer Arbeit und der einer Modedesignerin? 

Wir arbeiten beide mit einer begrenzten Materialauswahl und versuchen, das Beste daraus zu machen. Modedesignerinnen und -designer spielen mit Silhouetten, sie überlagern und strukturieren Stoffe, um ihrer Vision Ausdruck zu verleihen. Meine Materialpalette besteht hauptsächlich aus Kunstharz und laminiertem Glas. Daraus versuche ich immer noch mehr herauszuholen, zum Beispiel indem wir noch grössere Objekte aus Harz giessen oder gegossene Platten verbiegen. Oder wenn ich möchte, dass sich das Licht in etwas reflektiert, dann suche ich die Form, die diesen Zweck am besten erfüllt. Form ist für mich ein Werkzeug, mit dem ich die Wirkung des Materials erschaffe.  

Apropos Licht: Auf Ihrem Instagram-Account habe ich einige atemberaubende Aufnahmen aus dem Flugzeugfenster gesehen. 

Die Natur ist meine grösste Inspiration, der grösste Einfluss auf mein Design. Wer genau hinschaut, findet unglaubliche Wolkenformationen und surreale Sonnenuntergänge. Eine feine Welle im stillen Wasser, der Schatten eines durch ein Material gefilterten Lichts … In der Natur gibt es immer etwas zu sehen. Auch die eigenwilligen Texturen des Schnees sind verblüffend. Ich bin früher viel Snowboard gefahren und wenn der Himmel bedeckt war, trug ich eine Skibrille mit roten Gläsern, damit ich mehr Tiefe sehen konnte. Ich liebte diese surreale Erfahrung, die dadurch entstand.

SABINE MARCELIS lebt und arbeitet in Rotterdam, Niederlande. Kurz nach ihrem Abschluss an der Design Academy Eindhoven im Jahr 2011 eröffnete sie ihr eigenes Designstudio. Heute ist sie im Bereich des Produkt-, Installations- und Raumdesigns tätig. Die auf einer Blumenfarm inmitten monumentaler Landschaften in Neuseeland geborene und aufgewachsene Designerin entwickelte einen starken Sinn für Licht, Farben und schlichte Formen, der in ihren Designobjekten und Installationen klar zum Ausdruck kommt.

Das erinnert mich tatsächlich gerade an einige Ihrer Werke. 

Mein heutiges Ich ist ein Mosaik aus diesen Erfahrungen. Die Erkenntnis, dass ich ihre Wahrnehmung durch die Veränderung der Materialeigenschaften beeinflussen kann, widerspiegelt sich in meinen Designs. Die Totem-Lampe zum Beispiel besteht nur aus einer Neonröhre in einem Stapel transparenter, pinker Blöcke aus Kunstharz. Aber die Blöcke stehen versetzt aufeinander, so dass die Linie des Lichts in jedem Block anders wahrgenommen wird. Eine einfache Geste: minimalistische Formen mit maximalem Effekt. Genau diese Spannung möchte ich mit allen meinen Designs erzeugen. 

Der deutsche Maler Josef Albers hielt seine Schüler dazu an, Stücke von farbigem Papier zu sammeln, um damit ihre eigene Farbsammlung zu schaffen. Benutzen Sie auch eine Farbsammlung? 

Ich verstehe natürlich, wie Farbe funktioniert und wie die verschiedenen Farben miteinander interagieren. Meine grundsätzlichen Entscheidungen basieren auf Erfahrung und Wissen, aber wenn ich an einem konkreten Projekt arbeite, höre ich nur auf mein Herz.  

Ihre Ausstellung «Colour Rush! Eine Installation von Sabine Marcelis», die bis im Mai 2024 im Vitra Schaudepot zu sehen ist, schafft den Eindruck, dass sie die ganze Sammlung als Farbpalette vor sich hatten… War das Ihre Idee? 

Der Direktor des Vitra Design Museums, Mateo Kries, lud mich ein, ihre Designsammlung neu und nicht chronologisch zu präsentieren. Für mich war sofort klar, dass ich sie nach Farbe organisieren würde. Die Installation ist wie ein Farbkreis aufgebaut, den wir durchgeschnitten und aufgefaltet haben. Die Komplementärfarben liegen sich gegenüber: Gelb und Violett, Grün und Rot, Blau und Orange. Und natürlich gibt es auch Grau, Schwarz, Braun und Weiss. Normalerweise liegt einer Ausstellung viel akademische Forschung zugrunde, mit grossen Ideen und langen Texten. Aber so arbeite ich nicht. Mir geht es um die einfachen, klaren und starken Gesten. Meine Projektbeschreibungen bestehen aus höchstens drei Sätzen. Zuerst befürchtete ich, dass mein Konzept, diesen Objekten ausser ihrer Farbe alle Bedeutung zu entziehen, nicht akademisch genug wäre. Aber es funktioniert wirklich gut. Es schafft überraschende Paarungen und blendet Herstellungsverfahren, Stile und Epochen aus. Auf jedem Regal befinden sich verschiedene Stühle in einer Farbe. Das beruhigt das Bild und ermöglicht es, die Details genauer zu betrachten. Und auch die Färbung der Objekte ist nicht überall gleich. Die einen Stühle wurden lackiert, die anderen haben Farbpigmente im Material, wieder andere erhalten ihre Farbe durch die Polsterung.

«Die Natur ist meine grösste Inspiration, der grösste Einfluss auf mein Design. Wer genau hinschaut, findet unglaubliche Wolkenformationen und surreale Sonnenuntergänge. Eine feine Welle im stillen Wasser, der Schattenwurf eines durch ein Material gefilterten Lichts… Es gibt immer etwas zu sehen.»

Wie reagierten die Kuratorinnen des Vitra Design Museums, Nina Steinmüller und Susanne Graner, auf Ihre Idee? 

Sie haben gleich verstanden, dass es nichts bringt, mich zu etwas machen zu wollen, was ich nicht bin. Die Kuratorinnen sind mit der Sammlung sehr vertraut und konnten so die Ausstellung um eine ganz neue Dimension ergänzen. Sie präsentieren Farbkreise und Farbtheorien, die zeigen, wie sich Kunst- und Designschaffende in der Vergangenheit mit Farbe auseinandergesetzt haben. Auch ich habe meinen eigenen Farbkreis beigetragen. Daran ist erkennbar, wie ich innerhalb eines Materials mit Farbe arbeite.  Vielleicht ist das meine Farbtheorie, die Verwendung von Farbe innerhalb eines einzelnen Materials. Wir haben im Studio von jeder Farbe, die wir für die Ausstellung nutzen, eine Kopie erstellt und beziehen uns immer wieder darauf. Das ist ein neues Werkzeug für uns geworden. 

Sie beschäftigen sich mit vielen verschiedenen Grössendimensionen – von Ohrringen bis zu ganzen Bauwerken ist alles dabei. Lässt sich Farbe auch dimensionieren? 

Wenn ein Material grösser werden kann, kann auch Farbe grösser werden. Die grösste Einschränkung liegt für mich in der Herstellung. So ist zum Beispiel die Breite des Druckers für die Farbbögen, die zwischen die Glasscheiben laminiert werden, begrenzt. Die Dimensionen der «No Fear of Glass»-Objekte, die ich für das Mies van der Rohe Pavilion in Barcelona designt habe, waren durch diese Begrenzungen des Druckers vorgegeben.  

Hat sich die Weise, wie Sie Farben verwenden, über die Jahre verändert? 

Ich bin nicht sicher. Aber auf jeden Fall verleidet mir manchmal eine Farbe. Mal musste alles pastellrosa sein, da musste ich auch Aufträge ablehnen. Bei gewissen Farben stosse ich an meine Grenzen. 

Ihre Formen sind ziemlich kompromisslos, aber die Farben sind sanft und freundlich. Kompensieren Sie damit Ihre strengen Formen? 

Damit schaffe ich die Spannung, die ich mit meiner Arbeit suche. Wenn etwas zu perfekt ist, ist es nicht interessant. Und wenn die Farben zu grell sind, wird es schnell zu viel. Ich suche genau das richtige Gleichgewicht.  

Können Sie etwas zur omnipräsenten Donut-Form sagen? 

(Sie lacht.) Viele glauben, ich sei einfach verrückt nach Donuts. Dabei mag ich sie zum Essen gar nicht so gern. Aber ihre Form ist wundervoll! Sie hat eine Aussenseite und eine Innenseite, aber kein Anfang oder Ende. Ich schaffe eine Form gerne aus unterschiedlichen Materialien, weil so die Eigenheiten eines Materials besonders gut zur Geltung kommen. Und mit dem Donut klappt das einfach so gut.

«Ich lade die Betrachter ein, sich um das Objekt herum zu bewegen. Die Form und der Effekt des Designs sollten nicht auf den ersten Blick klar sein. Es sollte Neugierde wecken.»

Sie haben einen Teppich aus Woll-Donuts gemacht, einen Glasdonut und einen Pouf-Donut mit Textüberzug für die schwedische Marke Hem. 

Genau. Wenn man eine Form mit anderen Materialien neu interpretiert, betont das jedes Material einzeln. Ich wähle mein Material je nach gewünschter Funktion. Die Schalen, die ich für IKEA designt habe, sind zum Beispiel transparent, damit man hineinsehen kann, und sie sind bernsteinfarbig, wodurch sie eine sanftes, warmes Licht abgeben. Aber langsam gehen mir die Materialien aus, mit denen ich noch Donuts machen könnte …  

Der Donut-Pouf für Hem hat keine Nähte – ein wahres Kunststück! 

Ja, das ist er. Und genau das macht das Design so toll. Das hebt es vom Rest ab. Hätte der Donut sichtbare Nähte, wäre das nicht dasselbe. Er wäre einfach nicht so gut. Für mich war dieses perfekte Objekt eine spannende Herausforderung. Zwischen einer einfachen Form und einem sehr gut gelösten, minimalistischen Design liegt ein grosser Unterschied. Ich will, dass meine Designs mühelos aussehen. 

Das ist eigentlich genau das Gegenteil der Designs von Achille Castiglioni, bei dem die Details den wichtigsten Teil des Designs ausmachen. 

Ich schätze Designs mit sichtbaren, ausgeklügelten Details sehr. Ich selbst weiss aber nicht, wie man so etwas designt und möchte das auch nicht tun. Ich befreie alles, was ich entwerfe, von jeglichen Details und hebe das Wesentliche hervor. 

Ist das immer der Ausgangspunkt für Sie? 

Nicht der einzige. Obwohl meine Objekte statisch sind, müssen sie auch eine gewisse Dynamik enthalten. Ich lade die Betrachterinnen und Betrachter ein, sich um das Objekt herum zu bewegen. Die Form und der Effekt des Designs sollten nicht auf den ersten Blick klar sein. Es sollte Neugierde wecken.  

Verändert sich Ihre Herangehensweise je nach Grösse des Projekts?  

Je grösser ein Projekt ist, umso mehr versuche ich, etwas zu erschaffen, das eine Reaktion bewirkt. Aber ich würde nie mit immersiven Räumen und Bildschirmen arbeiten, die auf alle Sinne stark einwirken. Ich wähle lieber einen oder zwei Sinne aus und fokussiere mich auf diese. 

Haben Sie auch schon überlegt, andere Sinne in Ihre Arbeit miteinzubeziehen? Ihre Designs sehen bereits aus, als wären sie essbar. Ich könnte mir eine Kollaboration mit einem Patissier oder einer Patissière gut vorstellen… 

Lustig, dass Sie das jetzt sagen. Ich präsentiere am Salone del Mobile in Mailand dieses Jahr ein Projekt im Zusammenhang mit Essen. Und es gibt einen sehr bekannten Patissier auf Instagram, der fantastische Kuchen in der Form einiger meiner Werke gemacht hat. Es ist wirklich cool, dass meine Arbeit ihm als Inspirationsquelle dient. Ich kann leider selbst nicht gut kochen oder backen. 

Aber Sie arbeiten gut mit anderen zusammen. 

Ich bin offen für jede Form von Zusammenarbeit. Für mich besteht die grösste Erfahrung des Lebens darin, mit interessanten Menschen umgeben zu sein und zusammenzuarbeiten, die wirklich gut sind in dem, was sie machen. Ich würde auch gerne mit Musikern oder Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Ich bin wirklich offen für alles!

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